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Rundbrief August 2011

Vom Schweren und vom Leichten

Margarethe Randow-Tesch

»Die Leute haben (mit Hilfe von Konventionen) alles nach dem Leichten hin gelöst und nach des Leichten leichtester Seite; es ist aber klar, dass wir uns an das Schwere halten müssen … Wir wissen wenig, aber dass wir uns zu Schwerem halten müssen, ist eine Sicherheit, die uns nie verlassen wird«, sagt Rainer Maria Rilke in Briefe an einen jungen Dichter. (sämtl. Zitate: Insel-Verlag, S. 37). Mit anderen Worten: Die allgemeine Tendenz ist, die Verzweiflung im Innern mit Dingen in der Welt zu übertünchen, statt sie zu heilen.

In Ein Kurs in Wundern heißt es an der oft zitierten Stelle im Textbuch (T-27.VIII.6:3), wir hätten in einem Uraugenblick vergessen zu lachen und dadurch Illusionen wahr gemacht. In diesem einen Augenblick wurde alles auf den Kopf gestellt: Zu lieben (das Natürliche) wurde unnatürlich und schwer, zu hassen (das Unnatürliche) wurde natürlich und leicht. Aus diesem einen Augenblick außerhalb der Zeit, in der die Liebe durch die Angst ersetzt wurde, ist das Phänomen der Zeit entsprungen. Deshalb ist die Zeit die Wiederholung des Immergleichen – »ein endloser Kreislauf der Verzweiflung« (T-29.VII.8:1), der Triumph des Unwahren über das Wahre.

Aus diesem Grunde untersteht auch jedes Leben in der Zeit äußerlich dem Gesetz des Elends: Mangel, Wandel, Vergänglichkeit und Tod sind das Los des Körpers. Es ist sinnlos, davor die Augen verschließen zu wollen oder deprimiert zu sein, wenn das Leben sich nicht an unsere Vorstellungen hält. Widerstand verstärkt den Schmerz. Wir entgehen vielleicht bestimmten Formen äußeren Leidens oder können sie ändern bzw. mildern (was wir selbstverständlich tun sollten, wenn es in unserer Hand liegt), aber wir sind damit nicht dem Elend als solchem entronnen. Aber erst dann sind wir am Ziel.

Unser eigentliches Leiden heißt Nichtakzeptanz. Es enthüllt sich in unserer Reaktion auf die Umstände, nicht in den Umständen selbst. Deshalb der zentrale Satz im Kurs: »Vielleicht ist es hilfreich, sich daran zu erinnern, dass sich niemand über eine Tatsache ärgern [deprimiert sein, leiden] kann. Es ist immer eine Deutung, die negative Gefühle aufkommen lässt, ungeachtet ihrer anscheinenden Rechtfertigung durch das, was als Tatsachen erscheint« (H-17.4:1-2). Was könnten wir nicht akzeptieren, wenn wir fest an der Hand des Heiligen Geistes gingen? Nichts würde uns berühren oder erschrecken. Mangel, Wandel, Vergänglichkeit und Tod sind nicht das Gesetz des Geistes, der das Egosystem, und sei es noch so kurz, verlässt. Das ist mit dem Satz im Kurs gemeint: »Unter seiner Führung wirst du leicht auf lichten Wegen reisen« (T-13.VII.13:4). Wir werden leichten Mutes inmitten des Schweren und des Leichten.

Wer hat die Deutungshoheit in unserem Leben? Da ist das Problem. Halten wir inne, und sinnen darüber in unserer aktuellen Situation oder in Bezug auf ein vergangenes Problem nach. Es ist keine Aufforderung, keine schwierigen Gefühle mehr zu hegen, sondern eine Erinnerung daran, die Gefühle einer anderen Ursache – der fehlgeleiteten inneren Situation statt der äußeren Situation – zuzuschreiben, ruhig, langsam, beharrlich. Wir können Vertrauen dazu aufbauen, dass sich die innere Situation, aus der die Angst fließt, durch einen Prozess großer Bereitwilligkeit unsererseits korrigieren lässt. So lösen wir uns nach und nach auch von dem Gedanken, Gefangene äußerer Umstände zu sein.

Es ist allerdings notwendig, nicht darüber hinwegzusehen, dass wir Gefangene innerer Umstände sind, die wir möglicherweise gar nicht ändern wollen. Wir wollen nur ihre Folgen nicht. Diese Krankheitseinsicht ist der Anfang aller Weisheit. Mit anderen Worten: Wir hätten gern Recht mit den Illusionen des Ego und wären außerdem gern glücklich. Vergessen wir nicht: Die vermeintliche Existenz des getrennten Selbst, das wir »ich« nennen und um das unsere Sorge kreist, ist den Illusionen des Ego zu verdanken. Die Aussicht, das Egodenken zu verlassen (nicht mehr mit Schuldzuweisungen, Hass, Opfersein und Angriffsgedanken zu operieren), kann daher nicht auf unsere ungeteilte Begeisterung treffen, selbst wenn wir es meinen. Wir sehen in der Trennung einen vermeintlichen Wert und eine Sicherheit. Deshalb wird im Kurs auf jeder Seite geduldige Aufklärungsarbeit betrieben und gezeigt, wie unsicher, verletzend und widernatürlich das Ego ist.

Bei Rilke heißt es: »Dass etwas schwer ist, muss uns ein Grund mehr sein, es zu tun«. Es gibt keinen Satz, der dem Zeitgeist (und manchmal auch dem Gebrauch, der vom Kurs gemacht wird) mehr widersprechen würde. Unbequem ist – und das ist es, was er mit dem Satz meint –, gegen die eigenen Illusionen zu gehen: sie ehrlich aufzuspüren, damit die innere Wahrheit freigelegt werden kann. Er schreibt: »Liebhaben von Mensch zu Mensch: das ist vielleicht das Schwerste, was uns aufgegeben ist, das Äußerste, die letzte Probe und Prüfung, die Arbeit, für die alle andere Arbeit nur Vorbereitung ist.«

Natürlich, denn diese Liebe, die gleichbedeutend mit vollständiger Vergebung ist, steht am Ende unserer Reise durch das Schwere zum Leichten – außerhalb des Systems. Sie ist der letzte Prüfstein, dass wir die Welt des Ego verlassen und keine Ziele mehr abseits der Wahrheit haben.

Gleichwohl: Wir beginnen mit dem in unseren Augen Schweren und Unbequemen, unserer schwierigen oder vielleicht gar nicht schwierigen äußeren Situation. Wir denken daran, dass die Heilung der Angst im Innern das einzige Ziel ist. Wir üben uns darin, unsere Urteile über die Situation und unsere Vergleiche infrage zu stellen, weil sie die Angst festhalten, und den Standpunkt einzunehmen, dass wir nicht wissen, was zu unserem Besten und dem anderer ist. Wir erinnern uns daran, dass unsere geringe Kraft unterstützt wird durch etwas, das in uns und durch uns wirkt:

»So bringen wir dir unser Üben. Und wenn wir straucheln, wirst du uns aufheben. Wenn wir den Weg vergessen, zählen wir auf deine sichere Erinnerung. Wir schweifen ab, du aber wirst nicht vergessen, uns zurückzurufen.« (Ü-I.5.Wdhg.Einl.3:1-4)

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